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  • AutorenbildFreiwillige:r Bistum Hildesheim

Pompöses Karneval, Besuch meiner Familie und dann...Abbruch

„Mir geht es richtig gut, ich freue mich auf die zweite Hälfte des Freiwilligendienstes und bin gespannt, was noch alles passieren wird. Als nächstes kommt dann mein Geburtstag, Karneval und der Besuch von Papa, Laura und Erik auf mich zu, worauf ich mich schon freue. Aber davon hört ihr dann im nächsten Rundbrief.“ - 25.01.2020 (Blogeintrag „Über mein neues Projekt und Weihnachten in Bolivien“)

Dieses Gefühl des Glücks und der Vorfreude sollte bald verschwinden - so wie sich ab Mitte März die meisten Menschen in Bolivien, in Deutschland, auf der ganzen Welt in einer schwierigen Zeit befanden.

Am 30. Januar haben wir die neuen bolivianischen Freiwillige mit einem Gottesdienst und einem Abendessen verabschiedet. Sie sind am nächsten Tag nach Deutschland geflogen, um dort ein Jahr Freiwilligendienst zu machen. Darunter war auch meine Mentorin Gabi, sie ist 23 und stand mir schon oft mit Rat zur Seite, zum Beispiel als ich mein Projekt gewechselt habe, und ist zu einer guten Freundin geworden.


Am 03. Februar begann der Unterricht nun wieder und ich habe meine neue Klasse kennengelernt - 18 Vierjährige. Ich habe sie alle direkt ins Herz geschlossen und zu vielen Kindern eine echt starke Bindung aufgebaut, weil sie am Anfang - und ein Kind sogar bis zu meinem letzten Arbeitstag - viel geweint haben und nicht getrennt von ihren Eltern in der Schule sein wollten. Ich war dann immer diejenige, die die weinenden Kinder getröstet und mit ihnen gespielt hat und sie deswegen auch echt gut kannte.

Mir gefiel meine Arbeit richtig gut, mit meinen Kolleg:innen kam ich ja von Anfang an schon super gut klar und wir hatten immer viel Spaß und etwas zu lachen. Ab nach den Sommerferien hatte ich nun auch eine neue Kollegin, mit der ich mich total gut verstanden habe. Mit ihr habe ich mich auch oft über Privates unterhalten und sie kannte mich von meinen Kolleg:innen am besten.


Am 11. Februar war dann mein Geburtstag. Morgens habe ich ganz normal gearbeitet und mit den Nonnen zusammen zu Mittag gegessen. Danach bin ich dann nach Santa Cruz gefahren, zu meiner Gastfamilie. Zufälligerweise hat meine Gastmutti auch am 11.2. Geburtstag und wir haben dann zusammen gefeiert. Es kamen ein paar Freund:innen vorbei, es wurden Sonso und Tamales gegessen und ‚Cumpleanños feliz’ und ‚Zum Geburtstag viel Glück’ gesungen.

Wie es der Zufall so will, hat noch ein Freund auch am 11.2. Geburtstag und so waren wir dann später abends noch mit ein paar Freunden Essen und danach in einer Karaoke-Bar. Es war insgesamt ein sehr schöner Geburtstag.

Karneval

Vom Samstag, den 22.2. bis zum Dienstag, den 25.2. war Karneval in Santa Cruz. Das heißt, jede:r hat frei, alle feiern.

Wir waren am Samstagabend beim Umzug. Das war sehr interessant zu sehen, etwas anders als hier in Deutschland, aber es gab auch einige Ähnlichkeiten. Der Karnevalsumzug wurde früher als Umzug durch die Innenstadt veranstaltet, so wie man das aus deutschen Städten kennt. Dann wurde 2014 der Cambódromo angelegt - ein 40 Hektar großer Park, der im Grunde eine einzige Straße vom vierten bis zum achten Ring bildet und ca. 4 Kilometer lang ist. Hier finden verschiedene kulturelle Veranstaltungen, wie Tanzfestivals und eben auch der Karnevalsumzug statt.

Dadurch, dass der Umzug nun hier und nicht mehr in Straßen des Zentrums stattfindet, wird der Verkehr nicht mehr blockiert und die Innenstadt nicht so stark verschmutzt.

Findet im Cambódromo kein Event statt, wird der Park gerne von vielen Joggenden, Fahrradfahrenden und Spaziergänger:innen genutzt.


Am Karnevalsumzug haben ungefähr 150 der insgesamt 500 Karnevalsgesellschaften aus Santa Cruz teilgenommen. Manche von ihnen waren mit einem pompösen Wagen mit Tänzer:innen, andere nur mit einem kleinen Wagen mit einer Band, andere ganz ohne Wagen mit Band, die zu Fuß läuft, Teil des Umzugs. Jede dieser Karnevalsgesellschaften hat jeweils einen VIP-Bereich im Park, wo ausschließlich Mitgliedern der Gesellschaft der Zutritt gestattet ist und meist auch nochmal eine Band spielt, man Getränke bekommt und Sitzplätze vorhanden sind. So kann man den ganzen Samstagabend den Umzug von dort aus anschauen oder, wenn man nicht Teil einer Karnevalsgesellschaft ist, kann man von den Stehplätzen an den Seiten aus die Wagen bewundern.

Die restlichen ca. 350 Karnevalsgesellschaften haben nicht am Umzug teilgenommen, sondern sind ausschließlich in großen privaten Hallen, wo Konzerte gespielt werden.


Jede der Karnevalsgesellschaften hat eine eigene Königin, die jedes Jahr neu gewählt wird. Direkt nach Karneval wird schon die Karnevalsgesellschaft ausgewählt, die die „Hauptgesellschaft“ des nächsten Jahres ist. Die Königin dieser Gesellschaft wird dann Königin des Karnevals. In diesem Jahr war „Chirapas Jrs.“ die gekrönte Karnevalsgesellschaft mit ihrer Königin Romy Paz als Königin des Karnevals 2020. Sie war schon mehrere Wochen zuvor täglich im Fernsehen zusehen, war das Gesicht aller Werbekampagnen zu Karneval und deshalb sehr bekannt und beliebt - eine Prominente.


An den nächsten Tagen wurde dann im Zentrum gefeiert. Man hörte von allen Seiten Musik und wo man langging, wurde man mit Wasser, Schaum und teilweise Farbe beworfen.


Am Freitag vor Karneval hatten wir auch in meiner Vorschulklasse Karneval gefeiert. Die Kinder haben den ganzen Tag gespielt, es wurde getanzt und wir haben ein Buffet gemacht, sodass die Kinder einen spaßigen Tag ohne Unterricht erlebten.

Besuch von meiner Familie – Reise durch Bolivien

Am 28. Februar kamen dann mein Vater, meine Schwester und ihr Freund in Santa Cruz an. In den nächsten Tagen konnte ich ihnen meine Lieblingsplätze in meiner liebsten bolivianischen Stadt zeigen. Wir haben auch ein bisschen Zeit mit meiner Gastfamilie verbringen können und waren in Cotoca und haben meine Schule besucht.


Inka Ruinen, Samaipata, Santa Cruz, Bolivien
Inka Ruinen, Samaipata

Unsere erste Reise aus der Stadt heraus ging nach Samaipata, ein kleiner Ort, der etwa 3 Stunden Fahrtzeit von Santa Cruz entfernt liegt. In der Nähe des Örtchens kann man Inka-Ruinen besichtigen und Wasserfälle bestaunen.

Als nächste Großstadt, die wir sehen wollten, stand Cochabamba auf der Liste. Wir haben das Zentrum der Stadt erkundet und waren beim Cristo de la Concordia - die zweithöchste Christustatue der Welt, nach der in Polen.

In Cochabamba waren wir nur einen Tag lang, haben also nicht dort übernachtet, sondern sind dann über Nacht gleich weitergefahren nach La Paz.


Die Hexenstraße in La Paz, Bolivien
Hexenstraße

In La Paz sind wir durch die Hexenstraße gelaufen und viel Teleférico gefahren. Wie vor einem halben Jahr waren wir ebenfalls am Valle de la Luna, einer dem Mond ähnelnden Landschaft.

Außerdem sind wir durch El Alto gelaufen, die tatsächlich zweitgrößte Stadt Boliviens, gleich nach Santa Cruz de la Sierra. Früher war diese Stadt ein Stadtteil von La Paz und wird von vielen auch noch heute dafür gehalten. Wenn man aber mal in einer Gondel des Teleféricos über die Stadt fährt, ist die starke Expansion des Raums ersichtlich und überwältigend.

Ausblick über La Paz, Bolivien, von El Alto aus an der Teleferico (Seilbahn)

Außerdem haben wir in La Paz eine Schulfreundin von mir getroffen, die eigentlich einen Freiwilligendienst in Argentinien gemacht hat, aber zu der gleichen Zeit wie wir durch Bolivien gereist ist. Zusätzlich haben wir uns noch mit meinen Mitfreiwilligen, die ihre Einsatzstelle in El Alto haben, zum Abendessen getroffen, was auch sehr schön war. Dann kam meine Großcousine und ehemalige Bolivien-Freiwillige, noch dazu und hat uns von nun an auf der Reise begleitet.



Isla del Sol an der Copacabana in Bolivien

Nach ein paar Tagen sind wir dann mit einem Reisebus nach Copacabana am Titicacasee gefahren. Dort war es super schön - wie ein paar Tage Urlaub am Meer.

An einem Tag sind wir mit einem Boot zur Isla del Sol gefahren, eine Insel im Titicacasee. Dort haben wir zu Fuß die Insel erkundet, leckere Quinoa-Suppe gegessen und am Ufer des Sees die Sonne genossen.


Nach unserem Tagesausflug zur Isla del Sol wollten wir eigentlich schon wieder zurück nach La Paz fahren, aber es war so schön in Copacabana, dass wir uns entschieden haben, eine Nacht länger dort zu bleiben und stattdessen keine

Park Güembe in Santa Cruz, Bolivien

Wieder zurück in Santa Cruz, waren wir am letzten Tag des Aufenthalts meines Vaters dann noch im Park Güembe, indem mehrere Pools und verschiedene Tiergehege angelegt sind und wir nochmal einen Tag entspannen und die Hitze ganz gut ertragen konnten.




Die Pandemie - Abbruch unseres Freiwilligendienstes

Dann habe ich meinen Vater am nächsten Tag am Flughafen verabschiedet, es wurden ein paar Tränchen verdrückt und direkt danach wurde ich von Nachrichten bezüglich der Maßnahmen Boliviens im Rahmen der Corona-Pandemie überrumpelt. Es sollte ab sofort keine internationalen Flüge mehr geben - da war ich froh, dass Papa quasi schon im Flieger saß und am nächsten Tag noch ohne Probleme in Frankfurt gelandet ist.

Außerdem sollte der Unterricht an Schulen und Universitäten nicht mehr stattfinden, damit hatte ich also auch keine Arbeit mehr.

Einige Tage später, am 16. März, erreichte uns Freiwillige die traurige Nachricht, dass alle weltwärts-Freiwilligen ihren Freiwilligendienst abbrechen und nach Deutschland zurückkehren müssen. Wie und wann genau das geschehen sollte, wusste niemand genau.

Die nächsten Wochen waren geprägt von Trauer, Wut, Verständnislosigkeit, Unsicherheit, Angst, Stress, aber eigentlich konnten wir alle nicht glauben, was gerade passierte.

In Bolivien gab es zu dem Zeitpunkt nur wenige Infizierte und generell war das Leben noch relativ normal, bis auf die Tatsache, dass ich nicht arbeiten konnte.


Dann aber wurde von der bolivianischen Regierung schon angekündigt, dass Ausgangssperren gelten sollen. Und so bin ich direkt am nächsten Tag noch nach Cotoca gefahren, um meine kompletten Sachen zu packen, mich von den Schwestern und den Chormitgliedern zu verabschieden, weil es am nächsten Tag schon keine Möglichkeit mehr gab, dorthin zu fahren bzw. von dort aus zum Flughafen zu kommen. Leider konnte ich mich von manchen Freund:innen und auch von meinen Schüler:innen nicht mehr verabschieden, was wirklich traurig war.

Meine Schwester und ihr Freund waren in der Zwischenzeit in Chile und haben es dann tatsächlich auch noch geschafft, wieder nach Bolivien einzureisen und bis nach Santa Cruz zu kommen.

Wir sind dann gleich am 18.3. zum Flughafen gefahren, in der Hoffnung, für die beiden noch einen Flug nach Deutschland buchen zu können, was leider nicht geklappt hat.


In den nächsten Tagen hieß es dann: Abwarten. Es gab zweimal die Info, dass vermutlich ein Flug für den darauffolgenden Tag gebucht werde und man hat jeden Tag damit gerechnet, nach Deutschland fliegen zu müssen, was uns viele Nerven gekostet hat.

Schließlich gab es absolut keine Aussichten mehr darauf, dass wir einen Flug buchen können und wir mussten darauf warten, dass Bolivien in das Rückholprogramm von Deutschland aufgenommen wird und ein Flugzeug für uns geschickt wird.


Am 27.3. war es dann tatsächlich soweit. Wir wurden von einem von der deutschen Botschaft organisierten Taxi abgeholt und zum Flughafen gebracht. Dort haben wir dann von morgens um 10 Uhr bis abends um 19 Uhr gewartet und es war bis zur letzten Sekunde unklar, ob wir überhaupt mit dem Flieger mitfliegen können, da die ganze Koordination dieser Aktion verständlicherweise nicht optimal gelaufen ist.

Es haben 450 Personen in das gecharterte Flugzeug gepasst, allerdings waren ca. 500 Deutsche am Flughafen, die alle mitfliegen sollten. Dementsprechend mussten manche dort bleiben und für sie sollte ein paar Tage später nochmal ein Flugzeug gesendet werden.

Zum Glück haben alle Freiwilligen und auch meine Schwester, ihr Freud und meine Großcousine einen Platz im Flugzeug bekommen und wir konnten nach wirklich sehr stressigen und nervenaufreibenden Stunden recht angenehm direkt von Santa Cruz nach Frankfurt fliegen.


Jetzt sind wir also seit dem 28.3. wieder in Deutschland und haben dann erstmal die krassen Auswirkungen, die die Pandemie hier schon hatte, mitbekommen.


In den letzten sechs Wochen habe ich verschiedenste Dinge gemacht, um mich abzulenken und um irgendetwas zu tun zu haben. Es war die ganze Zeit unklar, wie es mit dem Freiwilligendienst weitergehen wird und man musste insgesamt wirklich viel Geduld aufbringen und konnte nur abwarten. Ich verbringe also meine Zeit zum Beispiel damit, den Keller auszumisten, Masken für ein Krankenhaus in Braunschweig zu nähen und Dias meiner Eltern einzuscannen - ja, so langweilig ist mir.


Es gab nun auch endlich die Info, dass wir den Freiwilligendienst weiterführen dürfen und Aufgaben suchen können, die wir im Rahmen dessen machen möchten. Ich werde nun wahrscheinlich bei einem ambulanten Pflegedienst in der Nähe die Kinder der Mitarbeitenden betreuen, die im Moment ja nicht in einer Kindertagesstätte betreut werden können. Außerdem werden wir mit den anderen Freiwilligen vom Bistum Hildesheim wahrscheinlich an der Internetseite der Freiwilligendienste vom Bistum arbeiten.

Ganz genau steht das aber leider immer noch nicht fest, weil da noch genaue Informationen von weltwärts fehlen, die wir berücksichtigen müssen.


Ich hätte den Rundbrief schon deutlich früher schreiben können, Zeit hatte ich ja zur Genüge, aber ich konnte mich bisher nicht dazu bewegen und es ist auch wirklich kein Vergnügen, sich nochmal in die Gefühlslage von vor ein paar Wochen hineinzuversetzen.

Es ist einfach wirklich unglaublich schade, dass ich den Freiwilligendienst so früh und so plötzlich abbrechen musste. Gerade hatte ich einen Alltag mit Arbeit und Hobbys, die mir Spaß machten und auch aus den Menschen, denen ich begegnen durfte, begannen sich gerade echte Freundschaften zu entwickeln. Ich weiß, dass mich die weiteren vier Monate noch unglaublich weitergebracht hätten und ich vor allem mit einem ganz anderen Gefühl und Blick wieder nach Deutschland gegangen wäre als das jetzt der Fall war.

~Sophie Bittner

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