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  • AutorenbildFreiwillige:r Bistum Hildesheim

Waldbrände, Wasserarmut, "Entwicklungsland?" - meine hautnahe Erfahrung

Aktualisiert: 14. Sept. 2020

Ich bin Sophie und war für meinen Freiwilligendienst von Anfang September bis Mitte Oktober letzten Jahres in San Ignacio de Velasco, wo ich in einer Schule gearbeitet habe. Es ist eine kleinere Stadt mit ca. 25.000 Einwohnern im Departamento Santa Cruz, in der Region der Chiquitanía und liegt damit im Tiefland Boliviens auf nur etwa 400 Metern Höhe und relativ nah im Osten des Landes an der Grenze zu Brasilien.

Genau in diesem Zeitraum, indem ich dort war, gab es in der Nähe und im gesamten Amazonasgebiet starke Waldbrände.


Bevor ich nach San Ignacio kam, war ich vier Wochen in Santa Cruz de la Sierra und habe dort in einer Gastfamilie gelebt. Das Thema Waldbrände war für mich dort schon sehr präsent, denn es wurde jeden Tag beim Abendessen für die Menschen, die in dieser Region leben und für die Helfer:innen, die an den Löscharbeiten beteiligt sind, gebetet und es gab viele Spendenaktionen, von denen man gehört hat.


In San Ignacio aber war meine Wahrnehmung nochmal anders, dort habe ich alles viel näher mitbekommen und man fühlte sich plötzlich mitten drinnen.

Hier haben zum Beispiel sehr viele Soldat:innen, Feuerwehrleute und auch freiwillige Helfer:innen aus anderen Ländern gewohnt, zum Beispiel auch aus Frankreich.


Am Ortsrand waren Zelte aufgebaut, in denen sie geschlafen haben und dann von dort aus tagsüber in die betroffenen Gebiete gefahren sind, um die Löscharbeiten zu machen.


Die Einsatzkräfte aus Frankreich sind nach vier Wochen Aufenthalt wieder zurückgeflogen und wurden groß auf der Plaza verabschiedet, wobei man zuschauen durfte und Fernsehteams da waren.



An einem Wochenende bin ich unter anderem mit meinem Chef, also dem Direktor einer Schule, und einem Pastor San Ignacios in ein kleines Dorf gefahren, in dem vier Frauen täglich für 400 Freiwillige und Soldat:innen gekocht haben.

Sie sind auf Spenden angewiesen und an diesem Wochenende fehlte es ihnen hauptsächlich an Fleisch und Eiern, um eine Mahlzeit für die Helfer:innen zuzubereiten. Wir haben deswegen im Kollegium der Schule Lebensmittel gesammelt und diese in das Dorf gebracht.


Auf dem Weg hat man ausschließlich abgebrannte und kahle Flächen am Straßenrand gesehen und die Luft war super diesig - es war insgesamt eine sehr traurige, aber auch beeindruckende Erfahrung. Sowohl beim Kochen, bei der Organisation bezüglich der Spenden als auch beim Löschen zeigten die freiwilligen Helfer:innen unglaublich großen Einsatz.

Der Blick geht aus dem Fenster eines Autos. Man sieht verschwommen einen teils abgebrannten Wald. Die Bäume, die noch stehen sind kahl. Vorne befindet sich viel Asche.
Verbrannter Wald

In der darauf folgenden Woche hatten wir eine Sitzung mit dem Bürgermeister der Stadt, um über den Einsatz von Spenden aus Deutschland zu sprechen, die über die Hermandad, mit der ich meinen Freiwilligendienst mache, organisiert wurden.

Man wurde jeden Tag an die Waldbrände erinnert, weil immer Rauch in der Luft war. Dementsprechend roch es verräuchert, es war diesig, sodass die Sonne rot aussah. Vor allem morgens auf dem Weg zur Schule ist mir aufgefallen, wie versteckt die Sonne hinter dem Rauch aufging und wie sich der ganze Ort in einem rötlichen Licht befunden hat.

Auch Monate später noch, zu Anfang des Jahres, gab es über Monate in Santa Cruz de la Sierra eine Ausstellung auf einer Plaza, bei der Fotos von den abgebrannten oder brennenden Flächen, den Einsatzkräfte und den toten Tiere gezeigt wurden und man wurde auch hier daran erinnert, wie viel Natur zerstört wurde.

Es war für mich ein befremdliches Gefühl, plötzlich mitten in einer Naturkatastrophe zu leben und es nicht nur über den Bildschirm mitzubekommen.

Zum Beispiel haben täglich mehrere Hubschrauber Wasser aus der Represa (dem Wasserrückhaltebecken des Ortes, dessen Wasser aus den Wasserhähnen der Menschen kommt) abgepumpt, um damit die Waldbrände in der Umgebung aus der Luft zu löschen.

Im Vordergrund ist Erdboden mit vereinzelten Rasenstellen zu sehen. In der Mitte des Bildes befindet sich ein Gewässer, in dem einige kahle Bäume stehen. Zwischen dem Rasenabschnitt und dem Gewässer ist rund um das Gewässer ein etwa ein Meter breiter Erdstreifen, der jedoch dunkler ist, als jener im Vordergrund. In der Ferne sind Büsche und Bäume zu sehen.
Represa

Eigentlich war die Represa immer einer der schönsten Orte San Ignacios - wie ein Wahrzeichen -, so wurde es mir von allen berichtet, mit denen ich dort war. Allerdings ist es heutzutage ziemlich traurig, die Represa zu besuchen, weil sie viel weniger Wasser beinhaltet als noch vor ein paar Jahren und das kann man auch am Ufer sehen, wo sich deutlich der ursprüngliche Wasserstand erkennen lässt. Leider reichten meine Spanisch-Kenntnisse damals noch nicht aus, um mich mit den Menschen mehr darüber zu unterhalten und die Gründe des niedrigen Wasserstandes genau zu verstehen, aber es war wirklich immer beeindruckend, wie sehr man meinen Bekannten die Trauer und Betroffenheit ins Gesicht geschrieben gesehen hat, als sie mich mit zur Represa genommen haben.

Traurig war vor allem, dass die Hubschrauber nur noch mehr Wasser abgepumpt haben und es keine Aussichten gab, dass sich die Situation bald ändern und sich der Wasserstand erhöhen würde, sondern eher das Gegenteil der Fall war.

Weil offensichtlich Wasserknappheit herrschte, wurde nachmittags/abends für ein paar Stunden das Wasser im ganzen Ort abgestellt, um es zu sparen. Das war eigentlich kein großes Problem, weil man es in seinen Tagesablauf einplanen konnte, aber wenn ich so darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass es ein krasses Privileg in Deutschland ist, ständig frisches und dazu noch trinkbares Wasser zur Verfügung zu haben.


Zum Thema Wasser ist mir auch noch aufgefallen, dass die Menschen in San Ignacio viel sparsamer damit umgehen als ich das bisher kannte. In dem Haus, in dem ich gewohnt habe, haben wir das Wasser der Waschmaschine in Eimern aufgefangen und dann nochmal dazu verwendet, den Boden zu wischen und es wurde nicht ständig für alles frisches Wasser aus dem Wasserhahn genommen. Auf so eine Idee wäre ich in Deutschland gar nicht gekommen, obwohl es natürlich absolut einleuchtet.

In Deutschland hat man die Sorge nicht, dass das Wasser irgendwann knapp werden könnte. Man dreht den Wasserhahn auf und es kommt immer frisches und trinkbares Wasser heraus. Dadurch verliert man das Bewusstsein dafür, was das eigentlich für ein riesiges Privileg ist, das wir zur Normalität werden lassen. Man geht mit Wasser oft verantwortungslos und verschwenderisch um - ich nehme mich da nicht raus, möchte das aber unbedingt ändern.


 

Das Leben in San Ignacio hat mir nochmal das vor Augen geführt, was wir mal auf einem Vorbereitungsseminar gelernt haben. Nämlich, dass Deutschland in vielen Dingen ziemlich rückschrittlich handelt und absolut nicht weit entwickelt ist - vor allem, was den Aspekt der Nachhaltigkeit angeht - auch wenn es von vielen Seiten häufig als „Industrieland“ - im Kontra zu „Entwicklungsländern“ - betitelt und deshalb als „weit entwickelt“ abgestempelt wird.

Doch wer definiert eigentlich, was oder wer „weit“ oder „weniger“ oder sogar „unterentwickelt“ ist? Man muss sich bei einer solchen Betitelung bewusst machen, über welches Themengebiet und aus welcher Perspektive man spricht.

Ist Deutschland wirklich eins der am besten oder weitesten entwickelten Länder der Welt? Kann man eine Aussage über Entwicklung so allgemein überhaupt treffen? Woher kommt es, dass wir die Entwicklung von Deutschland als gut oder erstrebenswert ansehen? Ist sie das wirklich? Ich denke, in vielen Dingen ist sie das nicht. Aber ist es überhaupt richtig, eine Entwicklung so pauschal zu betiteln? Sind nicht alle Länder immer irgendwo in einem Prozess der Entwicklung?


Ich werde auf jeden Fall versuchen, mehr auf meinen Wasserverbrauch zu achten und diesen möglichst gering zu halten. Vor allem will ich mir immer vor Augen führen, dass auch Deutschland kein „perfekt entwickeltes“ Land ist und es das vielleicht auch gar nicht sein muss, weil es das vielleicht gar nicht gibt. Wir alle, mich eingeschlossen, können aber zu einer Entwicklung beitragen, indem wir ständig in Aspekten wie Nachhaltigkeit dazulernen. Indem wir von und mit anderen Ländern lernen, die hier vielleicht schon mehr Erfahrungen und Schritte in die richtige Richtung gemacht haben. Und genau dazu kann ein Freiwilligendienst beitragen. Er trägt dazu bei, voneinander zu lernen und die eigenen über Jahre angeeigneten und festgesetzten Handlungsweisen zu reflektieren und zu kritisieren.


~Sophie Bittner

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